Einheit in Vielfalt – Zukunftsplanung in Unternehmerfamilien

Heft 2 der Schriftenreihe des Instituts

Im Übergang von der 2. auf die 3. Generation führt in Unternehmerfamilien die zunehmende Zersplitterung auf der Gesellschafterebene zur Entfremdung voneinander und vom Unternehmen. Eine Family Governance hilft, durch stabilisierende Strukturen und Regeln die Handlungsfähigkeit der Familie zu bewahren. Familiencharta und Familientag fördern unter diesen erschwerten Bedingungen den Zusammenhalt in der Familie. So kann sie ihr Werte-, Ziele- und Rollenverständnis neuen Herausforderungen – etwa im Zusammenhang mit der Etablierung eines Fremdmanagements – anpassen.


Leseprobe
 

Die Familie wächst
Unternehmer haben eher viele als wenige Kinder. Hier scheint – vielleicht kaum bewusst – ein dynastischer Zug hineinzuspielen: drei Kinder sind fast schon die Untergrenze. Theo Müller, der Chef des größten Anbieters für Milchprodukte in Deutschland, hat neun Kinder, der Porsche-Enkel Ferdinand Piëch gar deren zwölf. Stammbäume von Unternehmerfamilien führen sinnfällig vor Augen, wie rapide sich das Wachstum vollziehen kann, welche Dynamik in dieser Entwicklung steckt. Familien, die tatsächlich zu Dynastien geworden sind, haben häufig hundert und mehr Gesellschafter. Zu ihnen zählen Röchling, Heraeus und Henkel, bei Haniel beträgt ihre Zahl sogar mehr als vierhundert. Diese Zahlen mögen nicht repräsentativ sein, aber bei Entscheidungen beginnen die Probleme bekanntermaßen bereits dort, wo zwei beteiligt sind. Oft aber fehlt es an einer hinreichenden Wahrnehmung dieser Entwicklung und noch viel häufiger an einer strategischen Planung.

 

Die Gleichverteilung des Erbes wird mehr und mehr zum Normalfall. Unreflektiert mündet er in die Zersplitterung der Gesellschaftsanteile. Das führt dazu, dass sich Teilhabe und Verantwortung auf immer mehr Schultern verteilen. Es fehlt zumeist an einem Korrektiv dieser Entwicklung, wie es die Höfeordnung für die Landwirtschaft und früher das Erstgeburtsrecht des Adels dargestellt haben – Regelungen, die das Erbe ungeteilt belassen und allenfalls zu Abfindung und Unterhalt verpflichten. Auf das Unternehmen kann also buchstäblich einiges an Familie zukommen. Verwunderlich aber ist, wie wenig die Probleme gesehen werden, die sich aus einer wachsenden Familie ergeben und in welchem Ausmaß die Familie ebenso eines ordnenden Rahmens bedarf wie das Unternehmen. Wachstum und zunehmende Größe der Familie erfordern Konsequenzen – für die Strukturen und Regeln in der Familie und für ihr Verhältnis zum Unternehmen. Das reicht von der Frage, wer Anteile halten darf, über Regeln für Ausschüttung und Thesaurierung bis hin zur Integration und Mitarbeit von Schwiegerkindern. Die Zahl der zu klärenden Probleme ist außerordentlich hoch, die Auswirkungen von Entscheidungen komplex, die Chancen nicht intendierter Effekte groß. Kurz: eine Unternehmerfamilie tut gut daran, die Dinge nicht schleifen zu lassen, sie sich bewusst zu machen und sie nicht nur gezielt, sondern vor allem frühzeitig anzugehen.

Familienstrategie und Zukunftsplanung
Während der Prozess des Wandels im Unternehmen mit einem ganzen Arsenal von Instrumentarien bewerkstelligt werden kann, ist das Angebot für eine strategische Zukunftsplanung in und für die Unternehmerfamilie kaum bekannt und nicht groß. In den Vereinigten Staaten schon seit längerer Zeit etabliert und als effizientes Beratungsangebot geschätzt und nachgefragt, ist die Familienstrategie im deutschsprachigen Raum noch vergleichsweise unbekannt. Sie hilft, das Wachstum in einer Unternehmerfamilie organisatorisch in den Griff zu bekommen. Eine wachsende Familie stößt auf erhebliche Schwierigkeiten, will sie das Unternehmen als Familienunternehmen erhalten. Das Gesetz der großen Zahl – mehr Menschen, mehr Meinungen, mehr Interessen – ist hier ebenso wirksam wie qualitative Veränderungen. Spätestens im Erbgang führt die immer häufigere Gleichverteilung unter den Erben in die Zersplitterung. Um sie in den Griff zu bekommen, reicht die Anpassung des Gesellschaftsvertrags als Reaktion allein kaum aus. Zu sehr dominieren in der Zukunftsplanung für die Familie allein die Aspekte Recht und Steuern. Die Beratung durch Rechtsanwälte und Steuerberater und ihre Resultate – die Testamente, Gesellschafts-, Ehe-, Erb- und Poolverträge – lösen ein entscheidendes Problem nicht. Die wachsende Distanz zum Unternehmen wie von den anderen Mitgliedern der Familie begünstigt die Entfremdung voneinander. Das Schwinden des gemeinsamen Interesses und die Individual-interessen, die sich in den Vordergrund schieben, können zu einer gravierenden Belastung für das Unternehmen werden. Die Zahl der Firmen in Familienhand, die gegenüber dieser Entwicklung blind geblieben sind und ihr Ende in Auseinan-dersetzungen innerhalb der Familie gefunden haben, ist Legion. Es muss nicht immer so schlimm ausgehen, aber auch die Unternehmen, die über Jahre durch eine Blockade ihrer Handlungsfähigkeit gelähmt werden, die in Grundsatzfragen – z.B. der Nachfolge – nicht entscheidungsfähig sind, bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück und schwächen dadurch ihre Position am Markt. Die Familienstrategie vermeidet solche Entwicklungen, indem sie – je früher desto besser – die Fa¬milie darüber informiert, was passiert, wenn sie gegenüber dieser Entwicklung passiv bleibt und nichts unternimmt. Sie definiert gemeinsam mit der Familie strategische Ziele für die Familie und das Unternehmen und entwickelt Wege zu ihrer Umsetzung. Sie organisiert die Familie und bindet sie an Regeln, die der Entfremdung entgegenwirken und ein konstruktives Miteinander erleichtern. 

Um einmal nachzuvollziehen, wie die Familienstrategie verfährt, wie ihr analytisches Potential beschaffen ist, worauf sie abzielt, was ihre Resultate sind, soll ein fiktiver Beispielsfall dienen.