Gibt es so etwas wie typisch mittelständische Strategien?

Heft 11 der Schriftenreihe des Instituts

Was Hermut Kormann interessiert, ist die Ursache für den überdurchschnittlichen langfristigen Erfolg von Familienunternehmen gegenüber vergleichbaren Publikumsgesellschaften. Dort werden Strategien oft und gerne beschworen, während ein Familienunternehmer durchaus über eine verfügen kann, sie aber nicht unbedingt so bezeichnen würde. So viel sei vorweggenommen: die Stärke von Familienunternehmen beruht nicht allein auf einer spezifisch strategischen Stärke, sondern auf einem Bündel von Faktoren, die für sich genommen nicht einmal ohne weiteres als Stärken zu beschreiben sind.


Leseprobe
 

I. Erfolg durch Verfolgung des Richtigen

1. Die mittelständische Unternehmung als erfolgreicher Unternehmenstypus
Zu der überdurchschnittlichen Erfolgsträchtigkeit von Familienunternehmen gibt es eine überzeugende Mehrzahl von Studien, die eine höhere Rentabilität als die durchschnittlicher Börsengesellschaften nachweisen – immer vergleichbar und langfristig gemessen. Der Vorsprung in der Vitalität wird noch augenfälliger, wenn wir – richtigerweise – als oberstes Ziel in der Hierarchie der Ziele das Überleben der Institution Unternehmung setzen. Es ist irreführend, wenn regelmäßig auf den Befund verwiesen wird, dass sich die Zahl der in der ersten, zweiten usw. Generation gehaltenen Familienunternehmen jeweils in etwa halbiert, wobei die vierte Generation eine besonders hohe Ausfallrate aufzuweisen scheint. Innerhalb einer Generation, also von circa 30 Jahren, gehen weit mehr als die Hälfte aller Börsengesellschaften unter oder werden verkauft. Innerhalb der Dekade der 90er Jahre waren es in Deutschland schon 37% der größten, börsennotierten Industriegesellschaften, die verkauft wurden oder untergingen. Zudem wachsen die großen Familiengesellschaften signifikant schneller als die großen Börsengesellschaften, ein indirekter Beweis für die hohe Ertragskraft.

Der vielleicht eindrucksvollste Beleg für die vermuteten Erfolgsvorteile mittelständischer Strukturen ist es auch, dass Großkonzerne eben diese Strukturen bei sich „simulieren“ wollen. Konzepte wie den „Entrepreneur“ in einer Großorganisation anzusiedeln, die Aufgliederung in überschaubare Leistungseinheiten und Profitcenter, sind Beispiele dafür, wie man die mittelständische Eigentümermentalität in die große Organisation hineintragen will.

Maßgebliche Forscher auf unserem Gebiet sehen den entscheidenden Vorteil der erfolgreichen Familienunternehmen in ihrer Strategie, ja spezifischer in bestimmten Strategiemustern, die bei diesen Unternehmen häufiger verfolgt werden. Als solche spezifischen Attribute einer Strategie von Familienunternehmen werden genannt:

  • langfristiger Investmenthorizont,
  • flexible, unbürokratische Organisation,
  • starke Verpflichtung auf die Qualität der Leistung desUnternehmens,
  • Positionierung in Marktnischen,
  • größere Investitionen in qualifizierte Mitarbeiter,
  • traditionelle Ausrichtung auf Innovationen,
  • ausgeprägte Kultur der Organisation.​

Der Mittelständler als der bessere Mensch, der bessere Unternehmer, der bessere Stratege?

2. Strategie und bestimmte Strategiemuster als die erklärende Variable für den Erfolg der mittelständischen Unternehmung
Für diese These müsste man erklären können, worauf sich dieser Vorsprung in der Strategie begründen könnte.

  1. Ein höheres Intelligenzniveau um Strategieinhalte zu entwickeln, ist den Mittelständlern wohl kaum zugänglich. Überlegene Einsichten in die Betriebswirtschaftslehre und Literaturentwürfe zu Standardstrategien sind nicht zu unterstellen. Höhere Intelligenz wäre im Übrigen auch nur erforderlich für eine Strategie nach der analytischen Vorgehensweise oder dem sogenannten Design-Konzept der Strategie: Hiernach soll durch Faktenanalyse und Geistesarbeit ein Erfolg versprechendes strategisches Konzept erarbeitet werden, also gleichsam „die Welt als Wille und Vorstellung“. Das verdienstvolle Lehrbuch von Porter wäre hierfür ein Beispiel. Die hier entwickelten Strategiemuster sind ja durchaus zutreffend, wenn man nur immer wüsste, ob auch die Prämissen und Randbedingungen gültig sind, und wenn man wüsste, wie man die Implementierung bewältigen sollte. Zudem bräuchte der Unternehmer für die umfangreichen Analysen Unterstützung durch größere Beraterteams. Aversion gegen Berater ist aber ein weitverbreitetes Merkmal typischer Mittelständler.

    Wenn schon keine größere Treffsicherheit in dem Design der Strategieinhalte besteht, vielleicht hat der Mittelständler mehr Talent für einen gelungenen Prozess der Strategiefindung? Die kleinen Gruppen im mittelständischen Unternehmen könnten hier einen Vorteil bieten.
     
  2. Zum Planungsprozess bei Eigentümer-Unternehmern kann die Wissenschaft bislang kaum etwas sagen. Der Mittelständler entwickelt vorzugsweise die Strategie im Monolog mit sich selbst. Die intuitive Strategiefindung „aus dem Bauch heraus“ ist eine weithin praktizierte, von der Wissenschaft noch kaum erforschte Planungsmethode. Zitat Wimmer/Nagel: „Aus einer intuitiven Kenntnis der Eigenlogik des jeweiligen Geschäftes sowie aus einem engen Kontakt zu den Kunden und zum Marktgeschehen entsteht ein unternehmerisches Gespür, aus dem heraus nicht selten weitreichende Weichenstellungen für das Unternehmen getroffen werden. Nichtbeteiligte staunen oft über die Treffsicherheit und den Weitblick, der vielfach solchen, scheinbar einsamen Entscheidungen zugrunde liegt“.
     
  3. Wie verbindet sich mit diesem untrüglichen Gespür das immer wieder zu beobachtende plötzliche Umschlagen der Meinung, des verfolgten Planes in eine völlig andere Richtung? Zeigt sich darin nicht gerade die Irrationalität des allmächtigen Eigentümer-Unternehmers – als „Ad hoc-Kratie“ von Mintzberg in die wissenschaftliche Terminologie transformiert.