Krisenfrüherkennung und -management - Pflicht statt Kür
Messbarkeit macht die Welt berechenbar, Messbarkeit setzt – soll sie exakt sein – Zahlen voraus. Im modernen Management sind es die Kennzahlen, die diese Berechenbarkeit schaffen. Das tun sie im Guten wie im Schlechten, sie legen Erfolg und Versagen offen. Der Gesetzgeber schreibt haftungsbegrenzenden Gesellschaften ihre Anwendung seit einigen Jahren vor, um zur Stabilität der Unternehmen beizutragen. Sie taugen aber zu mehr als nur zur Prophylaxe. Wie sie genutzt werden können, behandeln Dirk Velten und Janina Poppe in diesem Heft.
Leseprobe
2. Grundlagen
Bestandsgefährdende Risiken
Nach dem Normzweck soll die in § 1 StaRUG geforderte Krisenfrüherkennung dazu dienen, „Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können“, frühzeitig zu erkennen. Neben der Pflicht zur Früherkennung von den Bestand des Unternehmens gefährdenden Entwicklungen sind im Gesetz ebenfalls Reaktionspflichten, die die Ergreifung von geeigneten Gegenmaßnahmen vorsehen, geregelt. Zudem sind die Geschäftsleiter verpflichtet, dem für die Überwachung des Unternehmens zuständigen Organ wie Aufsichtsrat und Beirat unverzüglich Bericht zu erstatten.
Ganz grundsätzlich sind bestandsgefährdende Risiken definiert als solche, die einzeln oder im Zusammenwirken mit weiteren Risiken dem Ziel der Unternehmensfortführung entgegenstehen.
Im finanzwirtschaftlichen Bereich können sich bestandsgefährdende Risiken bspw. aus folgenden Umständen ergeben:
• Unfähigkeit, bestehende Verbindlichkeiten bei ihrer Fälligkeit zu bedienen
• Ungünstige Entwicklungen von Schlüsselkennzahlen, wie z.B. der Eigenkapitalquote
• Vergangenheits- oder zukunftsorientierte Finanzaufstellungen deuten auf negative betriebliche Cashflows hin
• Weigerung von Lieferanten, weiterhin ein Zahlungsziel einzuräumen
• Unfähigkeit, Finanzmittel für wichtige neue Produktentwicklungen oder für andere wichtige Investitionen zu beschaffen
Bei den betrieblichen Gegebenheiten können folgende Umstände von Relevanz sein:
• Wegfall von wichtigen Kunden- und Absatzmärkten, sich verändernde Kundenbedürfnisse
• Ausscheiden von Führungskräften in Schlüsselfunktionen ohne adäquaten Ersatz
• Konflikte in der Belegschaft können Anzeichen für das Aufkommen bestandsgefährdender Entwicklungen sein
• Engpässe bei wichtigen Zulieferunternehmen
Gemein ist diesen vorgenannten Entwicklungen, dass sie bei einem zu späten Erkennen und ohne rechtzeitige Einleitung von Gegenmaßnahmen den Eintritt der Insolvenz des Unternehmens zur Folge haben können. Allerdings greift das bloße Abstellen auf das Vorliegen bzw. den Ausschluss von Insolvenzantragsgründen bei der geforderten Krisenfrüherkennung und dem Krisenmanagement zu kurz, da der typische Krisenverlauf, wie in der nachfolgenden Grafik dargestellt, zeigt, dass Krisen in den seltensten Fällen unvermittelt auftreten und der Insolvenzreife in aller Regel Fehlentwicklungen in vorgelagerten Phasen vorausgehen. Weiterhin ist in den wenigsten Fällen eine einzige Entwicklung allein ursächlich für das Entstehen einer Unternehmenskrise – i.d.R. wirken verschiedene, negative Faktoren zusammen. Die Insolvenzreife stellt dabei regelmäßig die letzte der typischerweise zu durchlaufenden Krisenstadien dar.
4. (Integrierte) Unternehmensplanung als elementarer Bestandteil der Krisenfrüherkennung
Grundlage der Früherkennung ist die Identifikation und Bewertung von Risiken
Ein funktionierendes Früherkennungssystem erfordert eine Identifikation der Risiken, wobei es nicht um die Erfassung möglichst vieler, sondern der für die Unternehmensentwicklung wesentlichen Risiken geht. Dabei können die Risiken, denen sich ein Unternehmen ausgesetzt sieht, sehr vielfältig sein, weshalb sämtliche Unternehmensbereiche in den Prozess der Risikoidentifikation einzubeziehen sind. Einzubeziehen in die Analyse sind zudem Risiken, die sich aus den gesellschaftlichen, politischen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen ergeben. Hier seien beispielhaft Risiken aus der demografischen Entwicklung oder staatlicher Vorgaben, z.B. der Energiewende, genannt. Ergebnis der Risikoidentifikation ist ein Überblick der sich für das Unternehmen insgesamt ergebenden Risikolandschaft.
In dem darauffolgenden Schritt hat eine Quantifizierung der zuvor identifizierten Einzelrisiken zu erfolgen. Gemessen an ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und ihrem Schadensausmaß sind die Einzelrisiken zu bewerten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich verschiedene Risiken gegenseitig bedingen und in ihrer Auswirkung beeinflussen können. Explizit einzubeziehen sind zudem Chancen als positive Abweichungen von erwarteten Entwicklungen.
Für die Beurteilung, ob identifizierte Risiken einzeln oder in ihrem Zusammenwirken den Fortbestand des Unternehmens gefährden, sind diese mit ihren Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und insbesondere die Liquiditätslage zu beurteilen. Für eine Einwertung dieser Auswirkungen bedarf es der Erstellung einer (integrierten) Unternehmensplanung, weshalb diese unabdingbar ist und einen zentralen Bestandteil der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements in Unternehmen darstellt.
Anschließende Verzahnung von Risikofrüherkennung und Unternehmensplanung erfordert einen in die Unternehmensorganisation integrierten Prozess
Die Erstellung einer Unternehmensplanung erfordert ein planvolles und strukturiertes Vorgehen. Bei komplexeren Geschäftsmodellen wird dies regelmäßig nur durch den Einsatz einer integrierten Unternehmensplanung gelingen, welche die Ertrags-, Vermögens- und Liquiditätslage berücksichtigt. Bei weniger komplexen Geschäftsmodellen kann aber ggf. auch der Einsatz einer einfachen, direkt abgeleiteten Liquiditätsplanung ausreichend sein.
Innerhalb der Unternehmensorganisation muss ein Prozess definiert, etabliert und dokumentiert werden, der sicherstellt, dass sämtliche zentral erfasste und bewertete Risiken Eingang in die Unternehmensplanung finden. Der Prozess muss zudem sicherstellen, dass zwischen den Systemen der Risikofrüherkennung und Unternehmensplanung ein regelmäßiger Austausch erfolgt und die Bewertung der Risiken im Zeitablauf stetig erfolgt, um eine periodenübergreifende Vergleichbarkeit zu gewährleisten.