Reichtum ist ein Geschenk und ein Auftrag – Anmerkungen zum Aufwachsen im Wohlstand

Heft 8 der Schriftenreihe des Instituts

Bernhard Bueb, ehemaliger Leiter des Internats Schloss Salem und Autor der Streitschrift Lob der Disziplin, gibt in seinem Beitrag wertvolle Hinweise, wie die Erziehung von Kindern in wohlhabenden Unternehmerfamilien gestaltet werden sollte. Ziel ist ein intaktes Selbstwertgefühl, das im Kern auf innerer und äußerer Unabhängigkeit gegenüber dem Familienvermögen basiert – der Weg dahin führt über die Stimulation des Leistungsvermögens und Verantwortungsbewusstseins.


Leseprobe
 

Vorbemerkung
Das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen ist heute unheilvolleren Einflüssen ausgesetzt als noch vor 100 Jahren. Der Schutzraum, den man im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Kindheit nannte, existiert nur noch rudimentär. Kindheit hieß Schutz vor der Gewalt der Erwachsenen, vor ihrer Sexualität, vor ihrer Korruption und vor ihrer Abhängigkeit vom Geld. Das Fernsehen hat diesen Schutzraum aufgehoben, die Kinder sind wie im Mittelalter wieder unmittelbar an der Gewalt der Erwachsenen beteiligt, an ihrer Sexualität und vor allem ihrer Abhängigkeit vom Geld. Das Fernsehen und das Internet gefährden das gedeihliche Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in beängstigendem Maße.

Es ist nicht der einzige Faktor, der das Geschäft der Erziehung erschwert.

Es gibt heute keinen Konsens mehr darüber, wie man Kinder und Jugendliche erzieht. Erziehung ist beliebig geworden. Eltern, und vor allem das zunehmende Heer der Alleinerziehenden, reagieren rat- und hilflos auf die Herausforderungen der Erziehung, sie suchen Rat in Büchern, bei Freunden und auch Fachleuten, um dann in der Regel dem Rat zu folgen, der eine möglichst konfliktfreie Erziehung ermöglicht. Denn ihnen fehlt die Kraft und die Zeit, um Konflikte mit ihren Kindern durchzustehen. Vor allem fehlt der Konsens über gemeinsame Grundsätze und Maßnahmen der Erziehung, der die Eltern stützt und stärkt. Kinder erfahren die Maßnahmen ihrer Eltern oft als willkürlich – sie erleben, wie die übrigen Gleichaltrigen anders behandelt werden, und sie spüren die Unsicherheit ihrer Eltern.
 

I. Die Wirkung von Wohlstand in der Erziehung
 

1. Der Segen begrenzter finanzieller Verhältnisse

Angesichts des Fehlens eines wirklichen Schutzraums, den Kindheit braucht, und der Beliebigkeit von Erziehung wirken sich die materiellen Verhältnisse nachdrücklicher aus, in denen Kinder aufwachsen. Armut war schon immer ein Feind des Aufwachsens, weil Kinder zu früh die Existenzangst ihrer Eltern erleben, sie erfahren nicht die Geborgenheit eines gesicherten Daseins, sie leiden zu früh an der Abhängigkeit von äußeren Verhältnissen und wie diese Abhängigkeit die Entfaltung zu einem freien und selbstbewussten Menschen hemmt. Neid ist zu häufig Begleiter des Alltags, die Sehnsucht nach Reichtum kann zur Obsession werden.

Das Aufwachsen in Wohlstand und Reichtum kann eine Chance sein, wenn es von strenger Erziehung begleitet wird. Ein Kind erfährt die Welt als großzügig und frei von materiellen Sorgen, Essen, Spielzeug und auch dienende Menschen sind reichlich verfügbar, die Mitglieder der Familie verteilen sich auf große und viele Räume, so dass weniger Spannungen aus der Enge des Zusammenlebens entstehen. Alle Wünsche scheinen erfüllbar, die Grenzen werden nur durch die Erziehung und durch die Selbstdisziplin der Eltern gezogen. Grundsätzlich wird die Welt als freundlich, offen und voller Möglichkeiten erlebt. Wenn das Aufwachsen in einem wohlhabenden oder reichen Umfeld von wohlüberlegter, konsequent praktizierter Erziehung begleitet wird, können selbstbewusste, großzügig denkende und glückliche Menschen daraus hervorgehen.

Erziehung ist für Kinder aus reichen Verhältnissen die einzige Möglichkeit, mit den Gefährdungen des Reichtums zurechtzukommen. Denn diesen Kindern fehlen die Grenzen, die Kindern aus bescheidenen, aber nicht armen Verhältnissen natürlicherweise gesetzt werden. Begrenzte finanzielle Verhältnisse können sehr segensreich ordnend wirken: Wenn eine Familie abwägen muss, ob sie sich ein Haus baut oder zur Miete wohnt, welche Dimension die Wohnung haben kann, welche Kleidung sie sich leisten kann, ob sie sich ein kleines oder größeres Auto kauft, ob sie die Ferien im Zelt oder in der Ferienwohnung verbringt, oder auch einmal ein Hotel bezahlen kann, ob die Tochter sich das Reiten, der Sohn das Segeln und beide zusammen eine Privatschule leisten können – täglich wirken sich begrenzte Mittel ordnend aus und nehmen einem manche Entscheidung ab. Die Grenzen des Taschengelds bestimmt das Budget der Familie, die Erfüllung weiterer Wünsche setzt die Bereitschaft voraus, für Geld zu arbeiten.

Wenn bei Kindern aus reichen Verhältnissen diese ordnende Kraft begrenzter finanzieller Verhältnisse wegfällt und nicht durch Erziehung ersetzt wird, kann bei jungen Menschen großer Schaden entstehen.