Transformation - Die Königsdisziplin der Strategen
Transformation in Unternehmen basiert auf Analyse und Strategie, sie ist mehr als eine zufalls- oder opportunitätsgetriebene Veränderung. Sie formt die künftige Unternehmensstrategie und damit die Verhaltensmuster von Führungskräften und Mitarbeitern – sie liefert mehr als nur Richtlinien für den Ressourceneinsatz – etwa Innovations- und Investitionsschwerpunkte oder Qualifikationsmaßnahmen. Was einer Transformation im Weg steht, wie sie anzugehen und zu implementieren ist, schildern Oliver Greiner und Nikolai Brosch in einem kompakten Leitfaden.
Leseprobe
1. Panta Rhei – alles fließt
„Nichts ist so beständig wie der Wandel“ wusste schon der Philosoph Heraklit von Ephesos vor über 2500 Jahren, oder, wie seine Lehre später so einprägsam zusammengefasst wurde: „Panta Rhei – alles fließt“. Heraklit fand Worte für eine Realität, die jeder von uns erlebt: was heute ist, darf nicht statisch aufgefasst werden, sondern ist als ewiger Wandel dynamisch zu verstehen. Fortdauernde Beständigkeit gibt es nicht.
Für Unternehmer ist diese Realität seit eh und je Chance und Risiko zugleich. Chance, da sie die Möglichkeit bietet, jene Vorgehensweisen zu finden, durch die das Geschäft wachsen und gedeihen kann. Risiko, da die Erfolgsmodelle von heute schon morgen erodieren können. Entsprechend gehört die Auseinandersetzung mit Veränderung zum Wesenskern erfolgreichen
Unternehmertums.
Wenn schon immer „alles fließt“, so ist die Ausrichtung von Unternehmen auf sich immer wieder neu ergebende Chancen und Risiken kein Spezifikum unserer Zeit. Auch wenn wir heute das Gefühl haben, dass die Welt volatiler, unvorhersehbarer, komplexer und mehrdeutiger geworden ist, sollten wir nicht in die Arroganz verfallen, dass frühere Unternehmergenerationen
es leichter hatten. Auch sie mussten mit Kriegen, Krankheiten, Umstürzen und allerlei technologischen Fortschritten und aggressiven Wettbewerbern zurechtkommen und sich anpassen.
Die Frage, ob Unternehmertum heute schwieriger als in der Vergangenheit ist, ist also müßig. Aber natürlich sind die Herausforderungen unserer Zeit gewaltig:
• Technologische Umwälzungen (z.B. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz)
• Klimawandel (z.B. Dekarbonisierung)
• Kriege und Unruhen (z.B. Ukraine, Nahost)
• Rohstoff-Knappheit (z.B. Halbleiter, Fachkräfte)
• …
Es stellt sich somit dringlich die Frage, welche Anpassungen Unternehmen heute angehen müssen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Und in diesem Zusammenhang taucht seit einiger Zeit ein Begriff immer häufiger auf: Transformation.
2. Muss sich Ihr Unternehmen transformieren?
Die Grenzen der Emergenz
Viele Vorgehensweisen im Unternehmen entwickeln sich „emergent“, d.h. ungeplant aus der erfolgreichen Reaktion auf erkannte Chancen und Risiken. Verfestigen sich diese Vorgehensweisen sprechen Strategen gerne von „emergenten“ Strategien. Vieles, was in Unternehmen als „Strategie“ bezeichnet wird, ist de facto die Konsolidierung emergenter Strategien mit dem Willen, sie in der Zukunft als geplante Strategie fortzusetzen.
Emergente Strategien können aufgrund ihres hohen Bezuges zur erlebten Praxis sehr erfolgreich sein. Doch gleichzeitig tragen sie das Risiko in sich, das Unternehmen zu sehr auf ihre kurzfristige Anpassungsfähigkeit vertrauen und so nicht rechtzeitig oder kraftvoll genug auf schleichende Marktveränderungen reagieren.
Denn viele Marktveränderungen werden zu spät erkannt, wenn sie außerhalb des aktuellen Wirkraums des Unternehmens liegen. Mögliche Antworten werden erst mit Verzögerung gefunden, wenn man zu lange versucht, mit bekannten Rezepten auf neue Umstände zu reagieren. Die Hoffnung, kurzfristig schon die richtige Reaktion auf Veränderungen zu finden, ist somit umso trügerischer, je weiter weg die Veränderung ihren Ursprung von bekannten Spielfeldern hat.
Emergente Strategien haben somit eine enge Bindung zum Zufall: die sich (oft nur scheinbar) plötzlich ergebende Marktveränderung, das richtige Auge, sie rechtzeitig zu erkennen, das Glück, die richtige Antwort geben zu können. Da steckt viel Opportunismus dahinter.
Doch Opportunismus ist das Gegenteil von Strategie. Die Entwicklung einer Strategie ist immer der Versuch, die Entwicklung des Unternehmens nicht dem Zufall zu überlassen. Es gilt, frühzeitig Marktveränderungen zu erkennen, auch wenn diese sich ggf. noch außerhalb des aktuellen Wirkraums entwickeln, und frühzeitig zu erkennen, ob neue Kompetenzen nötig sein werden, um sie erfolgreich anzugehen. Auf dieser Grundlage kann eine Vorgehensweise ausgearbeitet werden, welche das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führt.
„Geplante“ Strategien sind somit mehr als die Konsolidierung „emergenter“ Vorgehensweisen der Vergangenheit, sie sind die Willenserklärung für ein bewusstes Vorgehen zur Zukunftsgestaltung des Unternehmens!
Wenn die erkannten Veränderungen sehr grundsätzlich und die nötigen Antworten weit weg von den bestehenden Kompetenzen liegen, wird auch die Strategie grundsätzliche Weiterentwicklungen und Veränderungen zum aktuellen Status Quo aufrufen müssen. Ein „Weiter-so-wie-bisher – nur-besser“ oder ein „Bewährtes-beibehalten, Neues-aufbauen“ als Strategie wird dann nicht mehr reichen. Benötigt wird eine Strategie, welche die Abkehr vom Status quo beschreibt und gleichzeitig die Entwicklung hin zu einem neuen Zukunftsbild darlegt. Also eine Strategie, welche eine Transformation einleitet und führt.
Abb. 2: Das Marktmeister-Modell
Ein „integrierter“ Strategieprozess für erfolgreiche Strategiearbeit
Was hat diese Erfolgsformel mit dem Strategieprozess und der Transformation zu tun? Nun, wir sind der Überzeugung, dass sich die Elemente „Leitbild“, „Anders-werden“ und „Besser-werden“ als eigenständige Merkmale in der Strategie wieder finden müssen – umso mehr, wenn entsprechend der erkannten Notwendigkeit nicht nur eine inkrementelle Anpassung, sondern eine grundlegende Veränderung ansteht. Um dies zu erreichen, sollte der Strategieprozess „integriert“ aufgebaut sein.
Was meinen wir damit? Wir bezeichnen einen Strategieprozess als „integriert“, wenn folgende Bausteine systematisch aufein-ander aufbauen:
• Auf der Grundlage eines klaren Verständnisses der Stärken und Schwächen sowie der Chancen und Risiken des Unternehmens („SWOT“) wird ein klares Leitbild abgeleitet werden, welches die transformatorische Idee zum Ausdruck bringt.
• Auf dieser Grundlage ist das Geschäftsmodell der betrachteten Organisation (z.B. des Unternehmens oder eines Geschäftsbereiches) zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Hier findet sich das Streben nach dem „Anders -werden“.
• Anschließend sollten die im Rahmen der SWOT-Analyse, des Leitbildes und der in der Geschäftsmodell(weiter-)entwicklung erkannten wesentlichen Veränderungsbedarfe in Zielen, Kennzahlen und Initiativen festgehalten werden. Dies ist die Grundlage zum „Besser-werden“.
Wir sind der Überzeugung, dass eine systematische, aufeinander aufbauende und somit „integrierte“ Betrachtung der Elemente strategische Analyse, Leitbild, Geschäftsmodell, Ziele, Kennzahlen und Maßnahmen für gute Strategiearbeit steht. Die folgende Abbildung gibt den Kerngedanken eines so verstandenen Strategieprozesses wieder.