Vertrauen statt Mißtrauen
Heft 6 der Schriftenreihe des Instituts
Gerade in großen Unternehmerfamilien ist Mißtrauen an der Tagesordnung – mit gravierenden Folgen für die Entscheidungsabläufe und die Konfliktanfälligkeit einer Familie. Aus der Sicht der Familienstrategie und eines erfahrenen Rechtspraktikers wird die Bedeutung stabiler Strukturen in der Familie für den Aufbau einer Vertrauenskultur gezeigt, die zur Grundlage einer Family Governance wird und so die Handlungsfähigkeit erhält. Konkrete Empfehlungen geben Hinweise, wie es gemacht wird und welche Fehler vermieden werden können.
Leseprobe
Mißtrauen in der Familie und seine Ursachen
Warum nun ist in Unternehmerfamilien die Neigung zum Mißtrauen so stark ausgeprägt? Auf der Makroebene der Gesellschaft ist hier der Wertewandel zu nennen, der seit den 70er Jahren die Individualisierung gefördert und die Fähigkeit zur Gemeinschaft geschwächt hat. Der Anspruch auf Selbstverwirklichung, die Durchsetzung eigener Ziele ist mittlerweile auch Unternehmerfamilien geläufig. Vorgegebene Lebensziele für die jüngere Generation erzeugen Mißtrauen auf dieser Seite, sie zu verweigern nährt es bei der Generation der Älteren.
Zwei Welten prallen aufeinander
Stärker jedoch wiegen strukturelle Gründe in der Familie. Anders als heute üblich, sind Unternehmerfamilien Gefühls- und Wirtschaftsgemeinschaften. Der Zusammenprall der beiden Welten von Familie und Unternehmen, gefühlsbasiert hier und wettbewerbsbasiert dort, schafft ungünstige Bedingungen für das Entstehen von Vertrauen. Mehr noch: es führt leicht zu Mißtrauen – viel stärker als bei den gefühlsbasierten Familien abhängig Beschäftigter, in denen die Kinder um die Zuneigung ihrer Eltern konkurrieren. Schon dort ist bekanntlich nicht alles heil, hier aber kommen handfeste materielle Interessen hinzu.
Vater und Mutter
Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, daß die beiden Welten unterschiedlich repräsentiert werden. So ist die Familie noch heute regelmäßig das System der Mutter, das Unternehmen das des Vaters. Beide verbinden mit ihrer jeweiligen Welt unterschiedliche Ziele. So ist es etwa auffällig, daß manche Mutter glaubt, ihre Kinder vor dem Unternehmen regelrecht schützen zu müssen – eine Konfliktlinie, die eher zwischen Mutter und Vater, manchmal jedoch auch zwischen ihr und den Kindern verläuft. Viele Mütter ermutigen ihre Kinder geradezu, ihre Lebenspläne nicht auf das Unternehmen auszurichten und ihren eigenen Weg zu gehen – ein Verhalten das den Intentionen der meisten Väter zuwiderläuft.
Diese wiederum sind die eigentlich entscheidenden Akteure, und sie tragen wesentlich dazu bei, daß in Unternehmerfamilien Konkurrenz unter der jüngeren Generation und allseitiges Mißtrauen an der Tagesordnung sind. Unternehmer sind habituell keine Teamspieler. Sie sind gewohnt, alleine zu entscheiden, eine Machtressource, die sie im täglichen Geschäft stark macht, ihnen bei grundsätzlichen, die Familie betreffenden Fragen, jedoch ebenso im Weg steht. Alleine entscheiden zu können bedeutet, nicht an Regeln gebunden zu sein. Das ist die Hauptursache, warum im System Familie nichts geregelt, nichts berechenbar, nichts nachvollziehbar ist. Hier entstehen Tabus, die die Lebensplanung der jüngeren unter den Vorbehalt des väterlichen Votums stellen. Es ist zugleich der Boden, auf dem Konkurrenzverhalten und Mißtrauen prächtig gedeihen, das Vertrauen jedoch verkümmert.
Fehlende Trennung der Rollen
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Vermischung der Rollen von Vater und Unternehmer. Wo der Vater liebt oder distanziert sein kann, orientiert sich der Unternehmer und zumal in der Frage der Führungsnachfolge strikt an dem, was ihm aus dem Geschäftsleben bestens vertraut ist: am Wettbewerb und am Alleinentscheidermodell der Thronfolge. Bewußt oder unbewußt schüren viele Unternehmer die Konkurrenz unter den Kindern, sie beurteilen ihre Entwicklung allein aus dem Blickwinkel des Unternehmers, sie packen sie frühzeitig in Schubladen, sie inszenieren einen Wettbewerb, in dem sie allein die Regeln kennen und schließlich entscheiden. Das beschädigt nicht allein das Urvertrauen der Kinder zum Vater, es führt, da für sie Beurteilung und Kategorisierung die einzigen Orientierungspunkte bilden, zur Konkurrenz um das knappe Gut der Führungsnachfolge und macht die jüngere Generation zu konsequenten Eigennutzmaximierern. Das vergiftet die Atmosphäre zwischen den Geschwistern. Wer sich in dieser völlig intransparenten Situation am Ende durchsetzt, kann sich auf so manches Revanchefoul gefaßt machen: „Die Führung des Unternehmens hat sich mein Bruder erschlichen“, gehört noch zu den harmloseren Urteilen Unterlegener.
Auffällig ist nun, daß bei der Beteiligungsnachfolge die Rolle des Vaters dominiert und das Thronfolgemodell verwässert wird. Hier wird oft und unreflektiert gleich verteilt. Offenbar ist in dieser Frage ein Kompensationsmechanismus am Werk, der Verweigerung hier entspricht ein Gewähren dort. Hinzu kommt natürlich auch, daß die wenigsten Unternehmerfamilien in der Lage sind, eine klare Thronfolgeregelung zu realisieren: ein Herauskauf der Geschwister und damit das alleinige Entscheidungsrecht ist schlicht zu teuer. Die Bedeutung des Kompensationsgedankens ist jedoch unbestreitbar, dokumentiert durch die Tatsache, daß sowohl bei der Beteiligung als auch bei den Stimmrechten gleich verteilt wird, statt den geschäftsführenden Gesellschafter auf Dauer oder temporär durch eine Mehrheit zu privilegieren.